Plan nach dem Abi fehlt
Plan nach dem Abi fehlt, Foto: pixabay

Nach dem erfolgreichen Schulabschluss stehen viele junge Menschen plötzlich vor einer schwierigen Entscheidung. Zwischen Studium, Ausbildung, Praktika oder Freiwilligendienst herrscht eine kaum überschaubare Vielfalt an Möglichkeiten. In Berlin, aber auch bundesweit, fühlen sich viele Abiturient:innen dabei allein gelassen. Eine umfassende Studie und Einzelschicksale wie das von Lana aus Reinickendorf zeigen, wie groß die Unsicherheit nach dem Abitur geworden ist. Zahlreiche Jugendliche berichten über fehlende Unterstützung durch die Schulen und den Wunsch nach intensiverer Berufsorientierung. Eine aktuelle Auswertung sowie repräsentative Umfragen untermauern den wachsenden Bedarf nach systematischer und langfristiger Beratung bereits vor dem Abschluss.

Inhaltsverzeichnis:

Lana aus Berlin fehlt der klare Weg

Lana, 20 Jahre alt und Abiturientin aus Berlin-Reinickendorf, steht nach dem Abschluss plötzlich ohne Plan da. Noch im Sommer feiert sie ausgelassen mit Freund:innen den Abiball, nur Wochen später kommen erste Zweifel: Was soll nun folgen? Sie denkt an verschiedene Berufe – Eventmanagement, Lehramt – doch beides wirkt unklar oder zu langwierig. Orientierung durch die Schule fehlt.

Sie erinnert sich an einen kurzen Besuch der Jugendberufsagentur in der zwölften Klasse. Ein Onlinetest und Stellenanzeigen per E-Mail – mehr Beratung gab es nicht. Auch ihre Freund:innen, die noch keine klare Richtung hatten, fühlten sich damals allein gelassen. Lana fühlt sich überfordert und unverstanden. Sie vermisst konkrete Hinweise, Gespräche und echte Begleitung durch Lehrkräfte.

Zahlen zeigen steigenden Orientierungsbedarf

Eine Analyse des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung belegt den Trend:

  • Im Jahr 2012 waren 13 % der Abiturient:innen nach dem Abschluss ohne konkreten Plan.
  • 2022 ist diese Zahl auf 16 % gestiegen.

Auch die Bertelsmann-Stiftung hat im Jahr 2024 eine Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse sprechen für sich:

  • 43 % der Befragten kritisieren mangelhafte Unterstützung bei der Suche nach Ausbildungswegen.
  • 42 % fühlen sich beim Thema Studium nicht ausreichend beraten.

Diese Zahlen machen deutlich: Die Berufsorientierung an Gymnasien ist oft unzureichend. Der Grund liegt häufig im engen Lehrplan und in der Priorisierung von Noten statt Perspektiven.

Ada aus Pankow nutzt die Beratung – und profitiert

Im Gegensatz zu Lana hat sich die 19-jährige Ada aus Berlin-Pankow frühzeitig mit der Zukunft beschäftigt. Sie sammelt Praxiserfahrungen in verschiedenen Bereichen: Tierarztpraxis, Marketing – alles vor dem Abitur. Dabei wird sie regelmäßig von der Beraterin Jennifer Zwiebel unterstützt, die bei der Jugendberufsagentur Berlin tätig ist.

Ada besucht die Beratung in ihrer Oberstufe teilweise wöchentlich. Trotz Eigeninitiative empfindet sie das schulische Angebot als lückenhaft. Auch sie hätte sich eine stärkere Verzahnung von Unterricht und Berufsorientierung gewünscht. "Man ist so sehr mit Klausuren beschäftigt, dass man kaum Zeit findet, über die Zukunft nachzudenken", erklärt sie.

Lehrkräfte sollen systematisch unterstützen

Laut Verwaltungsvorschriften in Berlin und Brandenburg muss jede Schule mindestens eine Lehrkraft für die Berufsorientierung benennen. Diese sollen gemeinsam mit den Fachberater:innen Angebote machen, die Jugendlichen gezielt weiterhelfen. Doch die Umsetzung ist schwankend. Die konkrete Ausgestaltung liegt im Ermessen der Schulleitung – und diese nutzt ihren Handlungsspielraum unterschiedlich intensiv.

Andrea Zimmermann vom Netzwerk Zukunft: Schule und Wirtschaft für Brandenburg e. V. sieht gerade an Gymnasien Nachholbedarf. Viele Lehrkräfte seien vorrangig auf gute Noten fixiert, weniger auf langfristige Zukunftsplanung. Dabei, so Zimmermann, könnten bereits kleine Beiträge im Unterricht hilfreich sein, etwa Gespräche über Hobbys, Interessen oder individuelle Stärken.

Ziel sei es, eine berufsorientierte Begleitung über mehrere Jahre hinweg zu etablieren. Entscheidend sei, dass Schulleitungen das Thema ernst nehmen und das Kollegium aktiv mit einbeziehen. Berufsorientierung soll nicht punktuell, sondern strukturell stattfinden.

Lanas Weg zum dualen Studium

Für Lana dauert es fast neun Monate, bis sie Klarheit hat. In dieser Zeit bewirbt sie sich breit: bei Polizei, Justiz, Verwaltung. Um sich finanziell über Wasser zu halten, arbeitet sie im Baumarkt. Dann im April kommt die Zusage – ein duales Studium zur Finanzwirtin bei der Berliner Steuerverwaltung.

Rückblickend wünscht sie sich, früher mit der Planung begonnen zu haben. Heute rät sie anderen Jugendlichen, spätestens ein Jahr vor dem Abitur über ihre Zukunft nachzudenken. Denn auch wenn für sie nun alles gut ausgegangen ist, war der Weg dorthin voller Unsicherheit und Zweifel. Lana ist überzeugt: Wer früher beginnt, vermeidet unnötige Sorgen.

Kernaussagen im Überblick

  1. 16 % der Abiturient:innen haben nach dem Abschluss keine klare Zukunftsperspektive.
  2. 43 % fühlen sich durch die Schule unzureichend auf eine Ausbildung vorbereitet.
  3. An Gymnasien fehlt es oft an langfristiger, systematischer Berufsorientierung.
  4. Persönliche Beratung, wie im Fall von Ada, kann entscheidend helfen.
  5. Die Verantwortung liegt bei Schulen, Lehrkräften und Jugendberufsagenturen gemeinsam.

Der Bedarf an Orientierung und Unterstützung nach dem Abitur ist hoch – und er wächst weiter. Eine bessere Verzahnung von Schule und Berufswelt könnte vielen helfen, den Übergang sicherer zu gestalten.

Quelle: RBB24